Maker Porträt: VON DER GRÜNEN VISION ZUM FASSADEN-START-UP

Jonathan Holstein und Piers Johnston sind die kreativen Köpfe hinter dem Projekt "Waldwand". Ihre innovative Herangehensweise an Fassadenbegrünung könnte das Stadtbild, wie wir es kennen, nachhaltig verändern.

Im Interview geben sie uns einen Einblick in ihre Arbeit, ihre Vision und wie sie im Happylab ihre Ideen zu Prototypen entwickelt haben. Für die beiden ist Waldwand mehr als nur ein technisches Projekt – es ist ihr Beitrag zu einer nachhaltigeren und lebenswerteren Zukunft in den Städten. Jonathan und Piers zeigen, wie man durch Innovation und Leidenschaft einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen kann.

Christophe von Everleaf

Was macht euch zu Makern?

Jonathan: Ich habe immer schon gerne gebastelt und Sachen repariert. Vor ein paar Jahren hab ich zum Beispiel ein Bettsystem für einen VW-Bus gebaut. Das war ein Klappsystem für den Kofferraum, mit dem man im Bus schlafen konnte, ohne die Bänke auszubauen. Irgendwann habe ich dann auch begonnen, das Autoradio von einem alten Berlingo zu hacken, damit man über das Handy Musik abspielen konnte. 

Also ich bastle einfach gern und will verstehen, wie Dinge funktionieren. Ich hab mir auch schon früh einen 3D-Drucker gekauft, um Teile fürs Studium oder für den Alltag zu drucken. Ich probiere gerne Dinge aus und bin hands-on. 

Piers: Ich glaube, ich bin kein Maker im klassischen Happylab-Stil. Aber die deutsche Bezeichnung für Maker ist ja “Macher”. Und meine Freunde haben immer schon “Macher” zu mir gesagt. Das war glaube ich nicht immer positiv gemeint (lacht). Ich komme auf jeden Fall eher von der unternehmerischen Seite, wollte immer schon Ideen umsetzen und neue Sachen ausprobieren. Mit 15 Jahren habe ich mein erstes Business gegründet und seither unterschiedliche Dinge ausprobiert. Unser Projekt “Waldwand” ist jetzt das erste, das ich wirklich mit einer größeren Vision dahinter verfolge. 

Erzählt uns doch bitte ein wenig über euren Hintergrund.

Piers: Ich habe Volkswirtschaft studiert, Sozioökonomie, um genau zu sein. Mein Interesse daran ist familiär bedingt - bei uns zu Hause ist es immer viel um Politik und Wirtschaft gegangen. Meine Eltern waren auch selbstständig, daher kommt sicher mein Interesse am Unternehmertum. 

Jonathan: Ich bin Architekt und habe mich damals für das Architekturstudium in Potsdam entschieden, weil ich etwas Kreatives machen und Dinge erschaffen wollte. Als Architekt muss man hands-on sein, von allem ein bisschen was wissen und an allem ein bisschen interessiert sein. In meiner Masterarbeit habe ich mich damals mit dem Thema Fassadenbegrünung beschäftigt und wie man damit Gebäude verschatten und kühlen kann.

Zusammen arbeitet ihr gerade an einem besonderen Projekt - Waldwand. Was ist die Idee dahinter?

Jonathan: Wir wollen mit der Waldwand Fassadenbegrünung attraktiver gestalten. Es gibt zwei verschiedene Arten: Die historische Variante, bei der man Kletterpflanzen im Boden einsetzt, die dann die Fassade hochklettern. Und im Gegensatz dazu die fassadengebundene Begrünung, bei der die Pflanzen direkt an der Fassade wachsen - damit beschäftigen wir uns. Es ist eigentlich das teurere und wartungsintensivere Modell, aber sehr im Kommen, weil man sofort Ergebnisse sieht und die Fassade sofort grün ist.

Wir wollen mit dem von uns entwickelten Fassadenmodul die Wartung der Pflanzen automatisieren, um damit die Instandhaltungskosten zu senken. Dafür lassen wir einen Roboter die Fassade hochfahren, damit kein Mensch mehr an einem Seil hochklettern muss.

Piers: Durch die Verdunstungskühlung kann das Mikroklima mit einer Fassadenbegrünung um 2 bis 5 Grad kühler werden, natürlich abhängig von der Größe der Fassade. Das ist schon viel, wenn man darüber nachdenkt. Städte werden aber nicht nur kühler, sondern auch leiser, weil die Schallwellen von den Pflanzenmodulen geschluckt werden. Außerdem wird das Sonnenlicht nicht so stark reflektiert. Es gibt also sehr viele unterschiedliche gesamtgesellschaftliche Mehrwerte, die Fassadenbegrünungen mit sich bringen. 

Obwohl es Fassadenbegrünungssysteme schon sehr lange gibt, ist die Implementation noch sehr gering. Deshalb ist es wichtig, Innovation in dem Bereich voranzutreiben und genau das machen wir, indem wir die Wartung automatisieren und uns damit von bestehenden Unternehmen abgrenzen. Wir wollen damit Fassadenbegrünung für die breite Masse zugänglich machen und dazu beitragen, das Stadtbild, wie wir es jetzt kennen, zu verändern.

Woran arbeitet ihr gerade konkret und was sind eure nächsten Schritte?

Jonathan: Wir haben hier im Happylab einen ersten Prototypen für das Fassadenmodul mit automatisierter Bewässerung gebaut und ihn in den letzten Monaten überarbeitet. Diese überarbeitete Version werden wir demnächst im größeren Maßstab testen. Für den Wartungsroboter haben wir schon einen Entwurf in der Schublade, den wollen wir mit unserem neuen CTO (Chief Technology Officer) evaluieren, um zu schauen, welche die beste und kostengünstigste Version ist. 

Piers: In näherer Zukunft wollen wir unseren ersten Kunden haben. Deshalb versuchen wir gerade, ein größeres Pilotprojekt zu realisieren. An den beiden Prototypen, die wir bisher gebaut haben, sehen wir gut, wie das, was wir bisher entwickelt haben, funktioniert. Aber tatsächlich brauchen wir bald ein größeres Projekt, um ein Bild vom Markt zu bekommen und herauszufinden, wie wir das Konzept hochskalieren können. 

Jonathan: Dafür sind wir auch immer aktiv auf der Suche nach Kooperationspartnern und motivierten Menschen, die Lust haben, die Zukunft mitzugestalten. 

Könnt ihr uns erzählen, wie der Wartungsroboter funktionieren wird?

Piers: Der Status quo bei Fassadenbegrünungen ist ja, dass du für die Wartung eine Hebebühne und zwei Arbeiter brauchst, die die Pflanzen per Hand zurückschneiden. Das ist relativ zeitintensiv und dadurch auch kostenintensiv. Wir können das ganze automatisieren, indem wir zwei Schienen seitlich an den Modulen anbringen, an denen ein Roboter hochfährt und die Pflanzen schneidet. 

Im ersten Entwicklungsschritt geht es uns darum, dass der Roboter nur hochfährt und die Pflanzen schneidet, das ist relativ simpel. Im zweiten und dritten Entwicklungsschritt geht es dann auch darum, dass der Roboter einzelne Pflanzen austauschen kann. Das ist möglich, weil wir die Fassadenmodule in einzelne Subsysteme unterteilen. So muss nicht das ganze Modul herausgehoben werden, um einzelne Pflanzen auszutauschen. Wir werden hier wahrscheinlich mit einer Bilderkennungssoftware arbeiten, mit der der Roboter abgestorbene Pflanzen erkennen kann. 

Welche Maschinen im Happylab habt ihr bisher im Entwicklungsprozess genutzt?

Jonathan: Wir haben viel 3D-gedruckt, gerade am Anfang. Ansonsten haben wir eigentlich alle Werkstätten verwendet. Wir haben die Metallwerkstatt für das Modul verwendet und den Metall Laser. Und vor allem auch den Co-Working Space. Wir sind ja seit März fast jeden Tag hier (lacht).

Was sind eure größten Herausforderungen im Entwicklungsprozess?

Jonathan: Die größte Herausforderung sehe ich eigentlich darin, alle Sachen zusammenzubringen. Wir sind an der Architektur beteiligt, wir beschäftigen uns mit Pflanzen und wir brauchen eine*n Maschinenbauer*in für die Entwicklung des Roboters. Also wir haben bei dem Projekt super viele Gewerke, die zusammenspielen müssen. Alle einzelnen Teile sind vielleicht nicht so kompliziert, aber sie zusammenzubringen, ist eine große Herausforderung. 

Piers: Dem stimme ich auf jeden Fall zu. Das Stichwort ist Koordination. Es ist manchmal schwierig, weil es so viele unterschiedliche technische Aspekte zu Bedenken gibt. Eine Herausforderung, mit der sicher jedes Start-up zu kämpfen hat, sehe ich auch darin, ständig motiviert bei der Sache zu bleiben, ohne am Anfang viel zurückzubekommen. Man muss schon viel Zeit und Energie in so ein Projekt stecken, bevor es Früchte trägt. Für mich persönlich ist es schon eine große Herausforderung, mit so viel Ungewissheit und Risiko zu arbeiten. Gleichzeitig ist es auch schön, in einem Team mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten, die dieselbe Vision haben.

Was würdet ihr Menschen raten, die eine Idee haben und gerne ein Produkt entwickeln möchten, aber nicht so recht wissen, wo sie anfangen sollen?

Piers: Einfach mal beginnen! Es ist wahrscheinlich eine sehr generische Antwort, aber es ist einfach auch wahr. Wenn du eine Idee hast, musst du deinen Mut zusammen nehmen und einfach mal beginnen - egal wie es am Anfang aussieht oder was andere Leute davon halten. Es gibt so viele unterschiedliche Beispiele von erfolgreichen Geschichten und alle fangen genau so an. Vielleicht muss man dann manchmal auch ehrlich zu sich selbst sein und einsehen, wenn das nicht der richtige Weg für einen selbst ist. Aber es wäre schade, es nicht auszuprobieren! 

Jonathan: Wenn man an das Produkt glaubt und Hintergrundwissen über die Branche besitzt, in der man handeln möchte, dann muss man einfach mal beginnen, da stimme ich Piers voll zu. Und vielleicht jemanden finden, mit dem man gut zusammenarbeiten kann und sich gut ergänzt. Man kann sich gegenseitig motivieren, dranzubleiben und nicht abzuschweifen oder zu verzweifeln, wenn es gerade irgendwo hängt. 

Piers: Stimmt! Jemanden zu finden, der die gleiche Passion teilt, kann einen großen Unterschied machen. Es hält die Motivation hoch und kann die Wahrscheinlichkeit für Erfolg immens erhöhen. Ich glaube, ein gutes Team ist ein Schlüsselfaktor.

Wo soll eure Reise hingehen? Was sind eure Visionen für die nächsten Jahre?

Jonathan: Das ist eine gute Frage. Da machen wir uns auch ziemlich viele Gedanken darüber. Wir wollen den Menschen zeigen, dass es für uns alle ein großer Mehrwert ist, wenn wir in Städten leben, die begrünt sind. Unser Ziel ist es deshalb, möglichst viele Fassaden zu begrünen und instand zu halten. Wenn man zu uns kommt, bekommt mandas Rundum-sorglos-Paket und muss sich um nichts kümmern. Die Pflanzen werden am Leben erhalten und die Fassade sieht gut aus - inklusive allen positiven Aspekten, die Fassadenbegrünung mit sich bringt. Zusätzlich zu den, die Piers schon genannt hat, wäre da z.B. auch noch eine zusätzliche Wärmedämmung durch das Substrat der Pflanzen.

Piers: Mir ist es besonders wichtig, einen gesellschaftlichen Zweck zu erfüllen. Das Leben von einer großen Anzahl an Menschen zu verbessern, auch wenn es nur in einem geringen Ausmaß ist. Fassadenbegrünungen haben das Potenzial, die Lebensqualität von uns Menschen zu verbessern und uns vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Ich hoffe, dass mehr Grün in den Städten Menschen dazu bringt, bewusster zu handeln und nachhaltigere Entscheidungen zu treffen. 

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für eure weiteren Vorhaben!